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Nach dem Hype – Zur aktuellen Lage der „Identitären“ in Österreich

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In den letzten Wochen und Monaten könnte man den Eindruck gewonnen haben, dass es bei den „Identitären“ derzeit nicht so läuft. Tatsächlich scheint einerseits die Bereitschaft der meisten Medien, über ausnahmslos jede ihrer Aktionen unkritisch zu berichten, gesunken zu sein. Andererseits haben sie einfach auch lange nichts mehr gerissen. Die jährliche Pflichtveranstaltung, der Versuch, eine Demonstration durch Wien laufen zu lassen, wird nach drei Jahren heuer im strukturschwächeren Berlin stattfinden. Die Genoss_innen der autonomen antifa [w] haben dazu eine Chronologie und Analyse verfasst.

Eine mögliche Erklärung für diesen Schritt ist, dass sie das Label „IB“ nun auch in Deutschland endgültig außerhalb der eigenen Szene etablieren wollen. Außerdem stellt das Abgeben der Verantwortung an Berlin eine enorme Entlastung der Gruppen in Wien und Österreich dar. Die Ressourcen, die nun nicht mehr in Demo-Organisation gesteckt werden müssen, fließen derzeit in zwei Großprojekte, mit denen die „Identitären“ hoch pokern.

Vor knapp einem Monat haben sich führende Kader der „Identitären“ aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien auf Sizilien eingefunden, um den Startschuss für ihre „Defend Europe“ Kampagne zu setzen. Inhaltlich geht es darum, NGOs und Fluchthelfer_innen, die im Mittelmeer aktiv sind, zu diffamieren. Diese, und nicht etwa das europäische Grenzregime oder die Auswirkungen des Kapitalismus auf den globalen Süden sollen für das tausendfache Sterben an Europas Außengrenzen verantwortlich gemacht werden. Mit einer perfiden Umkehrstrategie werden Menschen, die Flüchtenden bei der gefährlichen Überfahrt unterstützen oder sie aus Seenot retten zu „Systemerhaltern“, die Anreize zur Flucht übers Mittelmeer setzen und somit für das Ertrinken jener Menschen, die sie nicht retten können, verantwortlich seien.

Die Kampagne soll mit eigener Crew und gechartertem Schiff praktisch umgesetzt werden. Für die Beschaffung der nötigen Gelder wurde ein neues Konto bei der Steiermärkischen Sparkasse eröffnet (Bei dieser Bank liegt auch das „Hauptkonto“ der Gruppe) und ein Crowdfunding-Projekt ins Leben gerufen, bei dem laut ihren eigenen Angaben innerhalb von knapp drei Wochen ca. 65.000 Euro gespendet wurden. Nachdem die Gelder jedoch nicht über Crowdfundingplattformen liefen, sondern direkt über eine von ihnen erstellte Website überwiesen wurden, darf an dieser Summe jedoch gezweifelt werden.

Strategisch gesehen knüpfen die „Identitären“ an die Forderung von ÖVP-Chef Sebastian Kurz an, der Mitte März forderte, den „NGO-Wahnsinn im Mittelmeer“ zu beenden. Sie nutzen somit aus, dass Kurz die Grenze des Sagbaren nach rechts verschoben hat und schlagen in dieselbe Kerbe. Die Argumentation ist bis auf wenige Unterschiede dieselbe. Gibt es bei Kurz „einige NGO’s, die gute Arbeit leisten, aber auch viele, die Partner von Schleppern sind“, werden bei den „Identitären“ alle NGO’s direkt für das Ertrinken der Flüchtenden verantwortlich gemacht. In beiden Fällen ist das Ziel eine Delegitimierung von Fluchthilfe und die weitere Verschärfung des ohnehin tödlichen Grenzregimes.

Das zweite große Projekt, an dem die „Identitären“ in Österreich herumwerkeln, ist die Entwicklung ihrer Vernetzungs-App. Nach aufwändiger Ankündigung inklusive Erklärvideo und einem weiteren Crowdfunding ist es relativ ruhig um „PatriotPeer“ geworden. Der Grund dürfte wohl die intensive Beschäftigung mit der Entwicklung sein. Hierfür haben die „Identitären“ sogar eine eigene Entwicklungsfirma gegründet.

„Fama-Labs OG“ wurde Anfang des Jahres ins Firmenbuch eingetragen und gibt sich nach Außen hin als „ganz normaler“, von „jungen Leuten“ betriebener IT-Dienstleister aus. Diese Fassade soll es wohl möglich machen, über die Entwicklung der eigenen App hinaus ein Standbein in der IT-Branche zu haben um dieses zukünftig auch als mögliche Einnahmequelle zu nutzen. Weiterer Gesellschafter ist neben Sellner ein gewissen Michael Matthias Wagner. Wagner ist EDV-Beauftragter am Institut für Politikwissenschaften an der Universtität Wien.

Dass die „Identitären“ es schaffen, innerhalb kurzer Zeit relativ hohe Summen an Spenden zu sammeln und ausreichend Ressourcen für derartige Projekte haben, ist auf den ersten Blick bemerkenswert. Allerdings steigt bei solch intensiven Projekten auch das Frustrationspotenzial, sollten diese floppen. Das – aus praktischer Sicht wenig erfolgsversprechende – behindern der Seenotretter_innen wird an der strategischen Wirkung zu messen sein und ob die Vernetzungs-App Verbreitung finden wird, ist ebenfalls fraglich. Mit diesem Fokus auf wenige große Projekte riskieren sie derzeit viel, ein Scheitern würde die ohnehin abflauende Dynamik weiter lähmen.

Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Projekte fällt rasch ins Auge: Sie bauen einzig auf Kadern und Financiers auf, statt wie bisher auf Aktivist_innen zu setzen. Dies widerspricht der Selbstinszenierung als „Bewegung“, die bisher einigermaßen konsequent nach außen getragen wurde. Insbesondere die Wiener Gruppe scheint sich allerdings in letzter Zeit sehr auf ihre Kader zurückgezogen zu haben. Für die nunmehr seltenen Aktionen, die eine größere Zahl an Personen voraussetzen – wie etwa die gefloppte „Störaktion“ während dem Maiaufmarsch – werden eigens Aktivist_innen aus der Steiermark herangekarrt. Wie Sellner erst kürzlich in der Sezession eingestand, stagniert die Gruppe, bzw. deren „metapolitischer Output“ derzeit. Dies ist nach außen hin nicht mehr zu verbergen. Als Reaktion darauf setzen sie nun scheinbar auf wenige spektakulär-große Projekte mit hohem finanziellen und Arbeits-Einsatz, die von einem kleinen Kreis getragen werden. Dies entspricht einem stärkeren Besinnen auf das oft-beschworene Ideal der „patriotischen NGO“. Aktivist_innen sind hierbei eher ein Risikofaktor, wohingegen bei Kadern eher auf strikte Disziplin und pro-forma Distanzierung nach rechts und zu Gewalt zu vertrauen ist. Die Illusion der großen Bewegung aller „Patrioten“ weicht langsam aber sicher einem Versuch der Professionalisierung und des Strukturaufbaus. Auch die Absage der Wiener Demo fügt sich nahtlos ins Bild: Nur mehr ein Großevent pro Jahr soll mit internationaler Mobilisierung den obligatorischen Stärkebeweis auf der Straße liefern, sonst schont man die Kräfte für medienwirksame Aktionen. Ob diese Strategie Erfolge bringt, wird zu beobachten sein. Es ist jedenfalls zu erwarten, dass nach Sellners Vorstoß mit der Wiener bzw. bundesweiten Struktur bald auch weitere Ortsgruppen nachziehen werden.


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